Vom Offroad auf die Rennstrecke: Der Pro-Street RZR

Weiter gedacht

15.3.2021

Ende Gelände

Mit seinen Offroad-Fahrzeugen hat sich Polaris eine treue Fangemeinde erarbeitet. In wenigen Monaten hat Porsche Engineering für das US-Unternehmen einen Demonstrator für eine Rennstreckenvariante eines Geländewagens gebaut. Dabei nutzten die Ingenieure ihre Erfahrungen aus der Sportwagenentwicklung.

Wyoming ist ein beschauliches Städtchen im US-Bundesstaat Minnesota, umgeben von Seen, Wäldern und Grasland – und damit ein idealer Standort für die Entwicklungsabteilung von Polaris, einen weltweit bekannten Hersteller von Offroad-Fahrzeugen. Vierrädrige Geländebuggys wie den RZR können die Ingenieure hier gleich neben ihren Büros testen. Den kompakten, hochbeinigen Zweisitzer mit seiner markanten Front kennt man schon seit Jahren in der Offroad-Szene. Doch im Sommer 2019 gab es bei einer großen Händlerschau am Firmensitz etwas Unerwartetes zu bestaunen: die Straßenversion „Pro-Street RZR“, in nur vier Monaten entwickelt und gebaut von den Experten von Porsche Engineering.

„Wir spürten sofort, dass hier zwei sehr ähnliche Firmenkulturen am Werk sind: Begeisterung für die Technik, Mut zum Ausprobieren und Querdenken, kurze Wege bei der Umsetzung.“

Brian Gillingham
Leitender Ingenieur bei Polaris

Die Idee für die Rennstreckenvariante des RZR kam den Ingenieuren von Porsche Engineering während eines gemeinsamen Projektes zur Fahrwerks- und Handlingoptimierung eines Polaris-Offroaders, der 2021 auf den Markt kommen soll. „Wir hatten die Idee, das Potenzial des RZR auf die Rennstrecke zu übertragen“, sagt Marc Kluge, Leiter Konstruktion Antrieb bei Porsche Engineering. Denn das RZR-Derivat bot ihm und seinen Mitarbeitern die Möglichkeit, das Gesamtfahrzeug-Know-how von Porsche Engineering unter Beweis zu stellen und dabei auch Erfahrungen aus der Sportwagenentwicklung einfließen zu lassen. „Der Pro-Street RZR zeigt, dass wir immer das komplette Fahrzeug betrachten und verstehen. Dazu gehört die Fahrwerkentwicklung ebenso wie unser Wissen um den Fahrzeugaufbau oder die Feinheiten der einzelnen Komponenten“, so Kluge. „Außerdem konnten wir Polaris zeigen, dass Porsche Engineering auf Wunsch auch komplette Demo-Fahrzeuge baut.“

Brian Gillingham, leitender Ingenieur bei Polaris, war ebenso wie seine Kollegen von Anfang an von der Zusammenarbeit mit Porsche Engineering begeistert. „Wir spürten sofort, dass hier zwei sehr ähnliche Firmenkulturen am Werk sind: Begeisterung für die Technik, Mut zum Ausprobieren und Querdenken, kurze Wege bei der Umsetzung. Es hat sehr schnell ‚Klick‘ gemacht.“ Man habe ohne zu zögern darauf vertraut, dass die Idee umsetzbar sei – und ließ den Ingenieuren von Porsche Engineering große Freiheiten, um ihr Ziel zu erreichen.

Bereit für die Rennstrecke: Der Pro-Street RZR entstand als Derivat des Offroaders Polaris RZR. Die markanteste Änderung ist seine tiefe Straßenlage.

Einsatz vieler Gleichteile

Ihre selbst gestellte Aufgabe lautete: Es sollte keine komplette Neuentwicklung, sondern ein Derivat auf Basis des bestehenden Offroaders entstehen. „Wir wollten möglichst viele Gleichteile verwenden und das Originalfahrzeugskelett nur minimal modifizieren“, so Kluge. Als bereits vorhandene „Carry-over-Parts“ (COP) boten sich Fahrzeugteile wie der Armaturenträger, der Antriebsstrang oder die Karosseriebeplankungen an. Ihr Einsatz machte die schnelle Umsetzung des Projektes erst möglich.

Das Ergebnis ist beeindruckend. „Seine Herkunft sieht man dem Pro-Street RZR noch an, zugleich ist er mit seinem puristischen Design aber ein absolut streckentauglicher Rennwagen“, findet Kluge. In der Tat: Die markante Front ist dieselbe geblieben. Nur der Stoßfänger fehlt, der die Offroad-Variante normalerweise ziert. Auch einen Großteil der Beplankung hat das Team von Porsche Engineering weggelassen. Das spart Gewicht und eröffnet den freien Blick auf Fahrwerk und Motor. Der Fahrerkäfig wurde ebenfalls verändert: Der Pro-Street RZR bekam einen neuen und niedrigeren Überrollbügel. Die beiden Passagiere sitzen in einem flacheren Käfig ohne Dach und Windschutzscheibe, gefertigt aus dem Material, aus dem auch die Überrollkäfige der Porsche-Rennwagen bestehen. Das verändert die Gesamtsilhouette ebenso wie der breite und hoch angebrachte Heckspoiler.

Die markanteste Änderung ist aber die neue Straßenlage. Während der hochbeinige Original-RZR eine Bodenfreiheit von mehr als 30 Zentimetern bietet, gleitet die Straßenvariante nur wenige Zentimeter über dem Asphalt – wie es sich für einen Rennwagen gehört. Unter anderem konnten hier die Ingenieure von Porsche Engineering ihre Erfahrung aus dem Rennsport einbringen: Neue Federbeine mit einem optimierten Winkel bringen das Fahrzeug näher an die Straße. Zusammen mit speziell abgestimmten Dämpfern, einer veränderten Querlenkergeometrie, neuen Stabilisatoren und 18-Zoll-Felgen verhelfen sie dem Fahrzeug zu einer breiteren Spur. Das führt zu einer stabileren Straßenlage und entspricht auch den speziellen Bedingungen von Rennstrecken: weniger Vertikalkräfte als im Gelände, aber höhere Seitenkräfte bei schnellen Kurvenfahrten. Und natürlich rollt der Pro-Street RZR nicht auf profilstarken Geländereifen, sondern auf einer Rennbereifung, die am Prüfstand ausgewählt wurde. „Das ist ein weiteres Beispiel dafür, dass wir das gesamte Fahrzeug bis ins letzte Detail für die Rennstrecke optimiert haben“, sagt Kluge dazu.

Die tiefe Straßenlage erforderte allerdings einen weiteren Umbau. Normalerweise ist der Tank des RZR unter den Sitzen angebracht. Da dort kein Platz mehr war, wurde er am Heckrahmen verbaut. Carbonschalen-Sitze und Hochleistungsbremsen prägen den Sportwagencharakter des Pro-Street RZR weiter. „Die leistungsfähigen Bremsen sind nötig, um mit den höheren Verzögerungen und dem damit verbundenen hohen Energieeintrag in die Bremse zurechtzukommen“, erklärt Kluge. Auch die Lenkung wurde an die Rennverhältnisse angepasst. Statt per Servolenkung steuert der Fahrer rein mechanisch. „Das gibt direkteres Feedback und sorgt für präziseres Handling, wie man es auf der Rennstrecke braucht“, erklärt Kluge. Motor und Automatikgetriebe blieben hingegen unverändert. Der Zweizylinder mit knapp einem Liter Hubraum und rund 170 PS beschleunigt den Pro-Street RZR auf rund 160 km/h.

In drei Monaten entwickelte, berechnete und konstruierte ein Team aus acht Kollegen an den Standorten Bietigheim und Mönsheim das RZR-Derivat. Danach bauten fünf Mitarbeiter von Porsche Engineering in vier Wochen das Demo-Fahrzeug auf und testeten es vor Ort. Im Juli 2019 kam das Derivat schließlich per Flugzeug nach Amerika – und sorgte dort für großes Aufsehen, wie sich Gillingham erinnert: „Unser Marketingleiter persönlich brach die Transportkiste auf. Und als der Pro-Street RZR im Juli 2019 herausgerollt wurde, waren wir alle begeistert.“

Großes Aufsehen in den USA

Gillingham hatte bereits die Gelegenheit, das Derivat selbst zu fahren. „Mein erster Gedanke war: Der liegt so tief!“ Natürlich sei das Fahrgefühl ein ganz anderes als bei der Geländevariante – nicht zuletzt aufgrund der niedrigeren Sitzposition, die zu einer anderen Sicht auf die Straße führt. Ein echtes Rennwagengefühl eben – Brian Gillingham nennt den Pro-Street RZR darum schlicht „cool“.

170

PS

hat der Zweizylindermotor mit knapp einem Liter Hubraum.

160

km/h

Spitzengeschwindigkeit erreicht der Pro-Street RZR auf der Straße.

Bei den Besuchern der Händlershow in Wyoming sorgte die Vorführung des Pro-Street RZR für mehr als nur verwunderte Blicke. „Die Leute waren sehr interessiert und neugierig“, erinnert sich Gillingham. „Sie fanden das Fahrzeug richtig aufregend.“ Damit hatte Polaris sein Ziel erreicht. „Wir werden uns zwar auch in Zukunft vor allem im Offroad-Bereich bewegen. Aber wir haben gezeigt, dass in Polaris noch viel mehr steckt, wenn es um aufregende Technik geht“, so Gillingham. Auch in Zukunft soll der Pro-Street RZR darum als Publikumsmagnet bei Unternehmens-Veranstaltungen eingesetzt werden.

Bei Porsche Engineering ist man ebenfalls zufrieden. „Der Pro-Street RZR ist voll rennstreckentauglich und bietet extrem agiles und genaues Handling bei geringem Gewicht – so wie wir das geplant hatten“, sagt Projektleiter Kluge. Zweifel an der Umsetzbarkeit habe man zu keinem Zeitpunkt gehabt. „Eine tolle, hoch motivierte Truppe mit viel Spaß am Projekt hat bewiesen: Es geht!“

Offroad-Spezialist: Der vierrädrige Geländebuggy RZR hat eine weltweite Fangemeinde. Auf Basis dieses Offroaders entstand der Pro-Street RZR.

Stabile Straßenlage: Der Pro-Street RZR bekam neue Federbeine mit einem optimierten Winkel. Gemeinsam mit den speziell abgestimmten Dämpfern, einer veränderten Querlenkergeometrie, neuen Stabilisatoren und 18-Zoll-Felgen verhelfen sie dem Fahrzeug zu einer breiteren Spur.

Info

Text erstmals erschienen im Porsche Engineering Magazin, Ausgabe 1/2021.

Text: Jost Burger
Mitwirkender: Marc Kluge
Fotos: Eduard Herr

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