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Agile Fahrzeugentwicklung mit KI und Daten
„Während der Entwicklung agiler werden“
Joachim Bischoff, Leiter des Fachbereichs Intelligent Connected Vehicle bei Porsche Engineering, erklärt im Interview, welche Rolle der Big Data Loop für die Automobilindustrie und das Kundenerlebnis im Fahrzeug spielt.
Warum ist der Big Data Loop für die gesamte Automobilindustrie so wichtig?
JOACHIM BISCHOFF: Alle Hersteller stehen vor der gleichen Herausforderung: Immer kürzere Entwicklungszyklen und der Wunsch der Kunden nach stets aktuellen und individualisierten Funktionen in ihren Fahrzeugen. Wer technologischer Vorreiter und auf dem Markt erfolgreich sein möchte, muss die Kundenzufriedenheit und insbesondere die Individualisierung in den Mittelpunkt stellen. Dabei hilft uns der Big Data Loop: Mit ihm lässt sich das Erlebnis der Kunden noch stärker personalisieren. Von diesen Entwicklungen profitieren auch die anderen Marken im Volkswagen-Konzern.
Wofür nutzen Sie den Big Data Loop noch?
BISCHOFF: Unter anderem, um während der Entwicklung agiler zu werden. Unsere Kunden erwarten, dass ihnen im Fahrzeug immer die neuesten Funktionen zur Verfügung stehen – wie sie das auch von ihren Smartphones gewöhnt sind. Bisher waren die Entwicklungszyklen von Automobilindustrie und Consumer-Elektronik aber sehr unterschiedlich. Der Big Data Loop hilft uns, schneller zu werden. Mit ihm können wir Daten aus den Fahrzeugen in die Cloud übertragen, per Künstlicher Intelligenz (KI) eine Funktion optimieren und den neuen Stand in nur wenigen Minuten zur Validierung zurück ins Fahrzeug übertragen. Das verringert die Time to Market spürbar.
Welche rolle spielt dieser Ansatz nach der Auslieferung der Fahrzeuge?
BISCHOFF: Hier ermöglicht uns der Big Data Loop, die Fahrzeugfunktionen auch während der Nutzung durch unsere Kunden permanent zu optimieren. Sie profitieren zum Beispiel von regelmäßigen Software-Updates. Eines ist mir aber sehr wichtig: Wir werden unsere Kunden nicht zu Beta-Testern machen. Bevor eine neue Software ins Fahrzeug kommt, wird sie nach wie vor ausgiebig validiert. So stellen wir eine hohe Qualität sicher und vermeiden unerwünschte Nebenwirkungen in anderen Fahrzeugsystemen. Allerdings können wir Dauer und Anzahl der Tests durch die hohe Automatisierung im Big Data Loop verringern.
„Mit dem Big Data Loop lässt sich das Erlebnis der Kunden noch stärker personalisieren.“
Joachim Bischoff arbeitete nach seinem Studium der Nachrichtentechnik bei Nokia und Harman Becker. 2010 kam er als Leiter der Fachdisziplin Systementwicklung zu Porsche Engineering und leitet aktuell den Fachbereich Intelligent Connected Vehicle.
Worin liegen die größten Herausforderungen beim Big Data Loop?
BISCHOFF: Die Konsistenz und der Kontext der Datenerfassung spielt eine entscheidende Rolle: Bei ihnen kommt es neben den eigentlichen Messwerten aus der Fahrzeugsensorik auch auf die Randbedingungen wie zum Beispiel Wetter, Geografie, Straßenverhältnisse sowie Tag- und Nachtsituationen an. Die Auswertung der Daten erlaubt dabei nicht nur, Fahrerassistenzfunktionen zu verbessern, sondern zum Beispiel auch Antrieb oder Hochvoltbatteriesystem kontinuierlich zu optimieren.
Welche Rolle spielt die Künstliche Intelligenz beim Big Data Loop?
BISCHOFF: Eine zentrale Rolle: Sie hilft uns bei der Auswahl der Daten und bei der Optimierung der Fahrzeugfunktionen – vor allem bei nichtdeterministischen Funktionen wie etwa der Einscher-Erkennung. Und natürlich ist sie die Grundlage zahlreicher Fahrerassistenzsysteme sowie des hochautomatisierten Fahrens im Allgemeinen.
Welche Alleinstellungsmerkmale hat Porsche Engineering?
BISCHOFF: Als hundertprozentige Tochter eines Automobilherstellers verstehen wir das Gesamtfahrzeug. Das unterscheidet uns von vielen Tier1-Zulieferern, die in ihren dezidierten Bereichen kompetent sind. Genauso wichtig sind daneben eine ausgeprägte Software-Expertise sowie Kompetenzen in neuesten KI-Methoden. Mehr als die Hälfte aller Tätigkeiten entfallen bei Porsche Engineering heute auf digitale Themen und E-Mobilität. Somit können wir beides: Fahrzeug und Software. Zudem verfügen wir über selbst entwickelte Werkzeuge, mit denen wir die Entwicklung beschleunigen. Mit unserer „Car Data Box“ auf Basis einer NVIDIA-Architektur können wir neue Features – zum Beispiel auf Basis von KI-Methoden – im Fahrzeug testen. Und bei allen Aktivitäten achten wir darauf, dass Datenschutz „Made in Germany“ sichergestellt ist.
Neue Funktionen müssen an lokale Gegebenheiten angepasst werden. Werden sie regional unterschiedlich trainiert?
BISCHOFF: Grundsätzlich sollten die eingesetzten Technologien global gleich sein. Aber es ist richtig: Wir müssen dabei auch lokale Besonderheiten beachten, etwa den Rechts- oder Linksverkehr. Darum verwenden wir für den Big Data Loop eine Cloud und trainieren die Funktionen für verschiedene Märkte mit unterschiedlichen Daten.
Zum Schluss eine persönliche Frage: Würden Sie sich in einem Fahrzeug wohlfühlen, das auch nach der Auslieferung permanent optimiert wird?
BISCHOFF: Da auf absehbare Zeit vor jedem Update ein finaler Test stattfinden wird, mache ich mir in puncto Qualität und Sicherheit keine Sorgen. Im Gegenteil: Durch den Big Data Loop kann mein Auto in Zukunft von den Erfahrungen der gesamten Flotte profitieren. Das macht mein eigenes Produkt schrittweise immer sicherer. Darum lautet meine klare Antwort: Ich würde mich in einem solchen Fahrzeug absolut wohlfühlen.
Info
Text erstmals erschienen im Porsche Engineering Magazin, Ausgabe 2/2021.
Text: Christian Buck
Foto: Martin Wagenhan
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