Intelligenter testen mit der ComBox App

Digitale Methoden & Tools

18.11.2025

Auswertung auf Knopfdruck

Die ComBox-App von Porsche Engineering erfasst in Versuchsfahrzeugen relevante Messwerte, wertet sie mit KI-Hilfe teilweise direkt aus und sendet die Ergebnisse sowie die Messdaten automatisch in die Cloud. Das verringert den manuellen Aufwand der Testfahrerinnen und -fahrer und steigert die Effizienz von Entwicklung und Validierung neuer Fahrzeugfunktionen.

Die Fahrerinnen und Fahrer in Entwicklungsfahrzeugen haben alle Hände voll damit zu tun, während ihrer Versuchsfahrten technische Auffälligkeiten neuer Fahrzeugfunktionen zu erkennen, zu dokumentieren und an die jeweiligen Entwicklungsabteilungen zurückzumelden. „Hier ist jede Arbeitserleichterung willkommen, vor allem bei ADAS- und Antriebsthemen, deren Validierung besonders aufwendig ist“, berichtet Jan Wörner, Projektleiter im Bereich Data Driven Testing & Fahrzeugfunktionen bei Porsche Engineering. „Genau darum haben wir die ComBox-App entwickelt: Sie ist der Begleiter der Ingenieurin oder des Ingenieurs und dient während der Erprobung als eine Art digitaler Assistent. Außerdem führt sie viele Berechnungen direkt im Fahrzeug aus und erkennt wichtige Szenarien in den Messdaten, ohne dass die Fahrerin oder der Fahrer aktiv werden muss. Durch dieses Edge-Computing müssen wir deutlich weniger Daten zur Auswertung in die Cloud senden.“

Vielseitig: Die ComBox-App stellt den Nutzerinnen und Nutzern sechs Modi zur Verfügung, die ihre Arbeit deutlich erleichtern. Beim Start der App können sie bequem ausgewählt werden.

Basisdienst: Ein Druck auf den Button genügt, um eine Messung auszulösen. Alle Fahrzeugdaten in einem Zeitfenster von sechs Minuten werden in die Cloud geladen – zum Beispiel von drei Minuten vor bis drei Minuten nach der Auslösung.

Sechs Modi zur Auswahl

Als Plattform für die ComBox-App dient ein handelsübliches High-End-Smartphone, dessen Computer-Ressourcen im Wesentlichen der von Porsche Engineering entwickelten Assistenzsoftware zur Verfügung stehen. Nach dem Start können die Nutzerin oder der Nutzer eine Auswahl aus derzeit sechs unterschiedlichen Modi treffen: Mit dem „Basisdienst“ lässt sich jederzeit eine Messung von Fahrzeugsteuergeräte Daten triggern, um diese Messdaten aufzuzeichnen und in die Cloud hochzuladen. Die „Szenenerkennung“ kann allgemeine Verkehrsszenarien aufnehmen, die beispielsweise für ADAS-Funktionen relevant sind. Der Modus „Akustische Beanstandungen“ findet mit KI-Hilfe störende Geräusche, während die „Infotainment-Aufzeichnung“ bei der Behebung von Anzeigeproblemen unterstützt. „Diese vier Modi haben eines gemeinsam: Nach einem manuellen oder automatischen Trigger zeichnen sie Muster beziehungsweise Fehler auf und senden die entsprechenden Daten in die Cloud“, so Wörner. Der Modus „Automatisierte Schicht­- und Erprobungsberichte“ kommt nach den Versuchsfahrten zum Einsatz und reduziert den Aufwand für die Protokollierung. „Alle Modi reduzieren den manuellen Aufwand, steigern dadurch die Effizienz und reduzieren menschliche Fehler im Erprobungs- und Fehlerabstellprozess“, erklärt Wörner.

Zugriff auf die Fahrzeugbusse

Voraussetzung dafür ist der Zugriff aller Modi auf die relevanten Fahrzeugbusse und -daten. Diese bezieht die ComBox-App von einem Datenlogger im Versuchsfahrzeug, beispielsweise der Car Data Box von Porsche Engineering. „Der Datenlogger hat vollen Zugriff auf alle Bussysteme wie CAN, LIN, FlexRay oder Automotive Ethernet und stellt damit Informationen über den aktuellen Zustand sämtlicher Fahrzeugsysteme bereit“, erklärt Wörner. „Er leitet diese Daten an das Smartphone mit der ComBox­ App weiter – entweder per Kabel über einen Ethernet­-zu-­USB-­Adapter oder über WiFi, falls es im Fahrzeug einen drahtlosen Zugangspunkt gibt, der an den Datenlogger angeschlossen ist.“

Mit dem Basisdienst der ComBox-App können die Fahrerin oder der Fahrer beim Auftreten einer beliebigen Auffälligkeit manuell eine Messung triggern. „Dadurch werden alle Messdaten des Fahrzeugs innerhalb eines definierten Zeitfensters rund um den Triggerzeitpunkt erfasst und in die Cloud geladen – zum Beispiel von drei Minuten vor dem Triggerzeitpunkt bis drei Minuten danach“, sagt Wörner. „Die Fahrerin oder der Fahrer können zudem eine Erläuterung ins Smartphone sprechen, die automatisch in einen Text umgewandelt und gemeinsam mit den Messwerten über ein 5G-Netz in die Cloud geschickt wird. Mit dieser Methode lassen sich ausführliche Zusatzinformationen sofort aufzeichnen und dadurch ohne Zeitverzug für die nachgelagerte Fehleranalyse zur Verfügung stellen. Diese Möglichkeit bieten auch die anderen Modi.“

Der Modus „Akustische Beanstandung“ identifiziert automatisiert bestimmte unerwünschte Störgeräusche im Fahrzeug und unterstützt bei der Ursachenidentifikation unter bestimmten Rahmenbedingungen. „Die ComBox-App nutzt zur Erfassung der Geräuschkulisse das hochwertige Mikrofon des Smartphones. Das ermöglicht eine zuverlässige Erfassung, die ebenso kostengünstig wie platzsparend ist – und das ohne zusätzliches Equipment. Wer möchte, kann dennoch Spezialmikrofontechnik anschließen“, erklärt Wörner. „Für die Analyse der Audioaufnahme direkt im Fahrzeug kommt Künstliche Intelligenz zum Einsatz: Wir nutzen ein neuronales Netz, das wir mit den Mustern von Störgeräuschen trainiert haben.“ Hat die ComBox-App ein unerwünschtes Muster erkannt, erzeugt sie automatisch eine entsprechende Nachricht und lädt diese gemeinsam mit dem zugehörigen Audiofile in die Cloud. Ebenfalls übermittelt werden weitere Messdaten wie die aktuelle Geschwindigkeit des Fahrzeugs, der eingelegte Gang und die Drehzahl des Motors. Durch diese weitgehende Automatisierung sinkt der Aufwand erheblich.

Beispielsweise kann der Modus „Akustische Beanstandung“ das sogenannte „Heulen“ von Turboladern sowie bestimmte störende Windgeräusche automatisch erkennen. Die Liste automatisch identifizierbarer Störgeräusche wird in Zukunft um weitere Geräuschkategorien erweitert werden. Zudem hat das neuronale Netz als Referenz auch gelernt, wie der normale Fahrbetrieb klingt. Durch den Einsatz der ComBox-App lässt sich der Aufwand bei der Erkennung und Analyse akustischer Probleme erheblich verringern. „Früher hatte man oft kein passendes Messequipment im Fahrzeug, wenn solche Auffälligkeiten aufgetreten sind“, berichtet Wörner. „Wir mussten darum zuerst ein Fahrzeug mit der Messtechnik ausstatten und dann den Fehler gezielt neu einfahren. Das war sehr aufwendig und mit hohen Kosten verbunden.“

Verkehrszeichen korrekt erkannt: Grüne Flächen signalisieren, dass die Ergebnisse des Fahrzeugs und der ComBox-App übereinstimmen.

Verkehrszeichen falsch erkannt: Stimmen die Ergebnisse nicht überein, wechselt die Farbe zu Rot. Zudem werden die Messdaten in die Cloud übertragen.

Auch Auffälligkeiten im Infotainment lassen sich mit der ComBox-App protokollieren. Dafür kommt der Modus „Infotainment-Aufzeichnung“ zum Einsatz, der während der Fahrt den Inhalt der Bildschirme (Fahrer-, Zentral- und Beifahrer-Display) aufzeichnet. Bemerkt die Versuchsfahrerin oder der Versuchsfahrer ein Problem, reicht der Druck auf einen Button der App, um automatisch ein kurzes Video in die Cloud zu laden. „Es enthält auch die Bildschirminhalte einige Sekunden vor dem Auslösen“, so Wörner. „Auffälligkeiten wie ein verschobener Text, ein falsch platziertes Icon im Navigationssystem oder eine fehlerhafte Einblendung dauern meist nur wenige Sekunden, weswegen wir sie früher oft nicht rechtzeitig erfassen konnten. Der Modus ,Infotainment-Aufzeichnung‘ verschafft uns deutlich mehr Luft, solche Probleme zu erkennen und zu markieren.“

Zwischen Messtechnik und Cloud: Die ComBox-App ist der digitale Assistent für Versuchsfahrten

Über einen Datenlogger hat die ComBox-App Zugriff auf die Fahrzeugbusse. Ihre sechs Modi nutzen diese Daten, um beispielsweise Auffälligkeiten zu erkennen. Diese werden gemeinsam mit den zugehörigen Messwerten in die Cloud übertragen und können zusätzlich per Speech-to-Text kommentiert werden. Umgekehrt lässt sich über die ComBox-App auch die Konfiguration der Messtechnik im Versuchsfahrzeug vornehmen.

Automatische Szenenerkennung

Noch in der Entwicklung ist der Modus „Szenenerkennung“. Er soll automatisch typische Verkehrsszenarien erkennen, die beispielsweise für den Test einer neuen ADAS-Funktion relevant sind – etwa das Einscheren eines vorausfahrenden Fahrzeugs, worauf zum Beispiel die ACC-Funktion gegebenenfalls mit einer Verzögerung des Fahrzeugs reagieren muss. Beschrieben werden solche Szenarien durch die dabei auftretenden Signale im Fahrzeug und deren Reihenfolge. Dazu gehören unter anderem die aktuelle Geschwindigkeit, der Bremsdruck und der Abstand zum vorausfahrenden Verkehrsteilnehmenden. Durch das Edge-Computing direkt in der App können so intelligent auch komplexe Szenarien und Testzyklen automatisiert erkannt werden, ohne dass die Fahrerin oder der Fahrer aktiv werden muss.

„Das spezifische Szenenmuster, das den Ablauf und die Kombination von Signalen enthält, können wir aus der Cloud heraus an alle Fahrzeuge senden, die mit der ComBox-App ausgestattet sind“, sagt Wörner. „Sobald irgendwo das gesuchte Muster auftaucht, schickt die ComBox-App die aktuellen Messdaten in die Cloud. Dadurch können die Entwicklerinnen und Entwickler sehen, ob die neue Fahrzeugfunktion wie gewünscht reagiert hat.“ Der große Vorteil: Für die Suche nach den interessanten Mustern können in Zukunft alle Fahrzeuge einer Testflotte genutzt werden, falls in ihnen die ComBox-App läuft –und nicht nur diejenigen, die beispielsweise speziell für den Test einer neuen ADAS-Funktion unterwegs sind. „Das spart viel Zeit“, so Wörner. „Denn wir müssen bestimmte dedizierte Versuchsfahrten überhaupt nicht mehr separat durchführen. Sie werden von anderen Fahrzeugen sozusagen nebenbei erledigt.“

Automatische Erprobungsberichte: Während und nach der Versuchsfahrt unterstützt die ComBox-App beim Erstellen der Berichte. Ein Druck auf den Mikrofon-Button reicht, um Anmerkungen per Speech-to-Text einzugeben. Es ist ebenfalls möglich, Fotos oder Videos aufzunehmen sowie eine Liste aller Beanstandungen anzeigen zu lassen.

Bericht ausfüllen: Ein Druck auf den Zielfahne-Button führt zu einer Liste aller Beanstandungen, die man mit Kommentaren und Fotos ergänzen kann.

Auswertung abgeschlossen: Am Ende zeigt die ComBox-App die Liste aller erfassten Beanstandungen an und ermöglicht es, den Bericht mit dem „Submit“-Button abzuschicken.

Eine große Arbeitserleichterung bei der Dokumentation von Versuchsfahrten und Messergebnissen ist der Modus „Automatisierte Schicht- und Erprobungsberichte“. Zur Qualitätssicherung finden mit neuen Fahrzeugen umfangreiche Dauerläufe statt, bei denen unter anderem viele Wiederholungen auf dem Programm stehen – zum Beispiel das mehrfache Öffnen des Kofferraums und des Schiebedachs oder das wiederholte Laden der Batterie. Der Modus nutzt Messsignale des Fahrzeugs, um die Berichte teilweise automatisch auszufüllen – etwa die Zahl der durchgeführten Wiederholungen. Die Berichte müssen nach der Fahrt nur noch überprüft und gegebenenfalls korrigiert werden. Zudem können die Fahrerin oder der Fahrer alle auftretenden Fehler während der Fahrt direkt in der ComBox-App erfassen und bei Bedarf auch mit Fotos ergänzen. „Nach jeder Fahrt füllen die Fahrerin oder der Fahrer einen Bericht aus und geben darin an, wie oft sie beziehungsweise er welche Aktion durchgeführt hat“, erläutert Wörner. „Das manuelle Ausfüllen der Berichte bedeutet einen hohen Aufwand, außerdem kann es, wie bei jeder manuellen Tätigkeit, zu Arbeitsfehlern kommen. Hier leistet die App effektiv Abhilfe und wir steigern die Qualität der Berichte.“

Die sechs Modi der ComBox-App haben sich bereits in der Praxis bewährt und werden ständig weiterentwickelt. „Die ComBox-App dient damit als zuverlässiger Assistent in der Erprobung und fungiert zugleich als zentrale Datenschnittstelle“, fasst Wörner zusammen. „Ein weiterer Vorteil ist ihre nahtlose und flächendeckende Einsatzmöglichkeit für generell alle Fahrzeugderivate.“ In Zukunft plant Porsche Engineering, dieses Tool inklusive des Backends in der Cloud seinen Industriekunden als eigenständiges Produkt anzubieten, wobei sich die einzelnen Modi je nach individuellem Bedarf einzeln zubuchen lassen.

Info

Text erstmals erschienen im Porsche Engineering Magazin, Ausgabe 1/2025.

Text: Christian Buck

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